Meinungs- und Pressefreiheit

Die Verfassung garantiert freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit, faktisch ist die Presse- und Meinungsfreiheit allerdings stark eingeschränkt. Printmedien, Radio und TV werden durch das Ministerium für Information und Kommunikation kontrolliert. Die Propaganda- und Bildungskommission der KPV intervenieren häufig direkt, um eine Geschichte zu diktieren oder zu zensieren. Es gibt mehr als 700 Nachrichtenmedien, die alle in staatlichem Besitz sind oder von regierungsnahen Organisationen betrieben werden und somit das Sprachrohr der KPV sind.  Unabhängiges Schreiben wird nicht selten gewaltsam unterdrückt, häufig richten sich Journalisten allerdings gleich nach den von der Regierung herausgegebenen Richtlinien für Medienschaffende, die sicherstellen, dass die Regierungspartei in positivem Licht erscheint. Laut Reporter-ohne-Grenzen (RSF) gehört Vietnam zu den Ländern, in denen weltweit die meisten Medienschaffenden wegen ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen. Auf der von der NGO jährlich aktualisierten Rangliste der Pressefreiheit steht Vietnam auf Platz 176 von 180 Staaten.

Aufgrund der Pressezensur sind daher die einzigen Quellen für unabhängig recherchierte Informationen Blogs, Nachrichtenportale sowie Facebookseiten im Internet, die häufig von Exilvietnames*innen betrieben werden. Im Januar 2020 hatten etwa 70 Prozent der vietnamesischen Bevölkerung Zugang zum Internet.[1] Allerdings unterliegen auch die vietnamesischsprachigen Veröffentlichungen von Exil-Journalist*innen ständiger Beobachtung durch die Behörden. Um im Ausland lebende Dissident*innen einzuschüchtern und zur Selbstzensur zu zwingen, werden häufig die noch in Vietnam lebenden Familienangehörigen von Sicherheitskräften schikaniert.[2]

Facebook ist in Vietnam sehr verbreitet und zur Veröffentlichung von Kritik an der Regierung beliebt, weil es mit rein technischen Mitteln nur sehr schwierig gezielt zu zensieren ist. Die Regierung hat nur die Option, Facebook ganz zu sperren – aber die Sperrung im Jahr 2010 brachte nicht den gewünschten Erfolg, da die Sperren leicht umgangen werden können. Infolge dessen wurde 2018 versucht, Facebook dazu zu bewegen, einzelne Accounts oder Beiträge zu löschen. Wie RSF offenlegte, wurde Facebook offensichtlich dazu missbraucht, kritische Einträge zu löschen und einzelne Accounts zu sperren. Dazu starteten Unbekannte sogenannte „böswillige Angriffe“, indem sie unliebsame, kritische Journalist*innen unwissentlich zum Administrator/zur Administratorin einer Seite machten, auf der in grober Weise gegen „Community Standards“ verstoßen wurde.[3]

Bereits seit 2008 wurde durch eine Reihe von Vorschriften die Kontrolle über traditionelle Medieninhalte auf den Online-Bereich ausgedehnt.[4] Aber erst seit dem Regierungswechsel im Jahre 2016 zu Ministerpräsident Nguyen Xuan Phuc, der ebenso wie der Präsident dem traditionalistischen Lager zugerechnet wird, erarbeitete die Regierung ein Gesetz nach chinesischem Vorbild, welches als Cybersecurity-Gesetz am 1.1.2019 in Kraft trat.[5] Das Gesetz stellt Kritik an der Regierung unter Strafe und verpflichtet Internetunternehmen, Daten lokal zu speichern und Benutzerdaten ohne die Notwendigkeit eines Haftbefehls an die Regierung weiterzugeben.  Es schreibt vor, dass Social-Media-Unternehmen Inhalte auf Anfrage der Behörden innerhalb eines Tages entfernen müssen. Alle Inhalte, welche die Regierung als toxisch erachtet, können gemäß diesem Gesetz entfernt werden. Dazu zählen Online-Aktivitäten wie bspw. Die Organisation von Opposition gegen die KPV; Verzerrung der revolutionären Geschichte und Errungenschaften Vietnams; Verbreitung falscher Informationen.

Das überarbeitetete VnStGB 2015 enthält zahlreiche Artikel, welche Strafen für Online-Aktivitäten vorsehen. (siehe Kapitel Gesetzliche Bestimmungen zur nationalen Sicherheit) Das VnStGB macht Anwält*innen auch strafrechtlich dafür verantwortlich, wenn Klient*innen wegen einer Reihe von Straftaten, einschließlich illegaler Online-Aktivitäten, nicht bei den Behörden gemeldet wurden, wodurch Anwält*innen effektiv zu Agenten des Staates werden.

Im August 2019 behauptete der Minister für Information und Kommunikation, Nguyen Manh Hung, Facebook habe “70 bis 75 Prozent” der Forderungen der Regierung nach einer Einschränkung von Inhalten erfüllt, gegenüber “etwa 30 Prozent” zuvor. Unter den Materialien, die Facebook nach Angaben des Ministeriums entfernt hat, befanden sich “mehr als 200 Links zu Artikeln mit Inhalten gegen die Partei und den Staat”. Der Minister behauptete auch, dass Google “80 bis 85 Prozent” seiner Anfragen zur Einschränkung von Inhalten auf YouTube und anderen Google-Diensten nachgekommen sei, gegenüber “60 Prozent” zuvor.

Das Ministerium hat die Quellen dieser Zahlen oder Rechtsgrundlagen für diese Anfragen nicht bekannt gegeben. Das Ministerium sagte, es habe Facebook gebeten, einige Live-Streaming-Funktionen einzuschränken und Online-Inhalte vorab zu zensieren und Anzeigen zu entfernen, “die auf Anfrage der Regierung gefälschte Nachrichten zu politischen Themen verbreiten”. Facebook erklärt, der Prozess zum Entfernen oder Blockieren von Inhalten sei “in Vietnam derselbe wie auf der ganzen Welt”. Der gemeldete Inhalt wird anhand der Community-Standards des Unternehmens überprüft.[6] Vermutlich erfolgt der Prozess des Löschens nach wie vor nach der o.g. Methode.

 [1] https://datareportal.com/reports/digital-2020-vietnam, Zugriff am 29.04.20

[2] RSF: „Exilblogger in Deutschland eingeschüchtert“, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/vietnam/alle-meldungen/meldung/exilblogger-in-deutschland-eingeschuechtert/, Zugriff am 25.04.20

[3] Amnesty International: Facebook muss Kooperation bei Regierungszensur beenden, https://www.amnesty.ch/de/laender/asien-pazifik/vietnam/dok/2020/facebook-muss-kooperation-bei-regierungszensur-beenden , Zugriff am 27.04.20

[4] Freedom House: Jahresbericht Vietnam 2019, https://freedomhouse.org/country/vietnam/freedom-net/2019, Zugriff am 29.04.20

[5] CNN: ‘Stalinist’ Vietnamese cybersecurity law takes effect, worrying rights groups and online campaigners, https://edition.cnn.com/2019/01/02/asia/vietnam-cybersecurity-bill-intl/index.html, Zugriff am 29.04.20

[6] HRW: World Report 2020, a.a.O.

Vollständiges Kurzdossier Vietnam

3. März 2021