Religion hat eine relativ große Bedeutung in Vietnam. Schätzungen gehen davon aus, dass 90% der Bevölkerung irgendeiner Glaubenstradition folgt ohne offiziell registriert zu sein. Der größte Teil der 105 Millionen Bewohner_innen Vietnams (Stand Mitte 2023) fühlt sich dem Buddhismus verbunden. Das vom vietnamesischen Regierungsausschuss für religiöse Angelegenheiten (GCRA) 2023 herausgegebene White Book of Religions weist 26,5 Millionen religiöse Anhänger auf, was etwa 27% der Gesamtbevölkerung entspricht und sich seit dem letzten Zensus im Jahr 2019 nahezu verdoppelt hat. Davon zählen sich 14 Millionen der buddhistischen Gemeinschaft zugehörig, Katholik_innen sind mit 7 Millionen die zweitgrößte Gruppe, gefolgt von 1,2 Millionen Protestant_innen. Darüber hinaus existieren zahlreichere kleinere Religionsgemeinschaften, die teilweise nicht registriert sind. Bis Ende 2023 waren 16 Religionen sowie 43 religiöse Organisationen staatlich registriert.[1]
Rein formal sichert die vietnamesische Verfassung in ihrer aktuellen Fassung von 2014 in Artikel 24 die Glaubens- und Religionsfreiheit zu. Jeder hat das Recht, „einer beliebigen Religion anzugehören oder auch keiner Religion“. „Vor dem Gesetz sind alle Religionen gleich.“ „Der Staat respektiert und schützt die Glaubens- und Religionsfreiheit.“ Verglichen mit dem Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der sich mit dem Recht auf Religionsfreiheit befasst, erscheinen die Formulierungen in diesem Artikel zunächst ziemlich ähnlich. Es hat den Anschein, dass die Bürger_innen in Vietnam tatsächlich bei der Praktizierung ihrer unterschiedlichen Glaubensrichtungen und religiösen Praktiken geschützt sind. Doch Details zeigen, dass die Religionsfreiheit erstens nicht entgegen bestehender Gesetze und Verordnungen ausgeübt werden darf. Zweites gilt die Religionsfreiheit nur für diejenigen Glaubensgemeinschaften, welche sich staatlich registrieren lassen. Religionsgemeinschaften, die sich einer staatlichen Registrierung verweigern und entziehen, gelten als illegal und werden vom Staat bekämpft.
Die Kontrolle und Steuerung der Religionsgemeinschaften auf allen Ebenen erfolgt über die „Büros für religiöse Angelegenheiten“, die zur Verwaltungsstruktur der „Vaterländischen Front“ gehören. Den rechtlichen Rahmen dazu bildet das Religionsgesetz, die „Verordnung über Religion und Glauben“. Am 1. Januar 2018 trat eine neue Fassung dieses Gesetzes in Kraft, mit dem vordergründigen Ziel, das nationale Gesetz international abgeschlossenen Abkommen anzupassen.[2] Dennoch ist der rechtliche Rahmen nach wir vor sehr restriktiv und enthält zahlreiche Mehrdeutigkeiten und Widersprüche, was zu sehr willkürlichen Entscheidungen führen kann. Zudem steht es nicht im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards, wie beispielsweise dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem Vietnam beigetreten ist.
Der Prozess der Registrierung und Anerkennung als legale Religionsgemeinschaft ist trotz einiger Verbesserungen immer noch langwierig. Um eine Registrierung zu erhalten, muss die Organisation ein detailliertes Antragspaket mit Informationen zu Doktrin, Geschichte, Satzung, Führungskräften und Mitgliedern einreichen und den Nachweis erbringen, dass sie über einen legalen Ort für Versammlungen verfügt und in den vergangenen 5 Jahren kontinuierlich innerhalb geltenden Rechts agiert hat.
Registrierten Religionsgemeinschaften ist es erlaubt, zu predigen, religiöse Zeremonien zu organisieren und an anerkannten Orten religiösen Unterricht abzuhalten; ferner Konferenzen zur Genehmigung ihrer Satzung und ihrer Statuten zu organisieren, Führer_innen zu wählen oder zu ernennen, religiöse Einrichtungen zu reparieren oder zu renovieren sowie gemeinnützige oder humanitäre Aktivitäten durchzuführen. Staatlichen Behörden werden allerdings umfassende Kontrollmöglichkeiten für alle religiösen Aktivitäten eingeräumt.[3]
Für die meisten der oben genannten Aktivitäten müssen im Voraus Genehmigungen eingeholt werden, darüber hinaus ist ebenfalls im Voraus eine Liste der jährlichen Aktivitäten vorzulegen. Es gehört zu den Praktiken des Regierungsapparats, jede Predigt mitzuhören und aufzunehmen. Alle Versammlungen von mehr als sieben Personen, die außerhalb genehmigter Gottesdienste stattfinden, sind anzeige- und genehmigungspflichtig. Auch der Erhalt, die Reparatur und der Neubau von Kirchen müssen in jedem Fall von den Behörden genehmigt werden.
Es besteht eine Unterscheidung zwischen “religiösen Treffen” und “religiösen Aktivitäten”; beide müssen registriert werden, bevor eine Organisation berechtigt ist, die volle legale Anerkennung zu erlangen. Religiöse Treffen werden auf das Beten beschränkt. Es sind einer Gemeinde nur religiöse Aktivitäten erlaubt, die der Verkündung und Praxis der religiösen Lehre sowie der Durchführung von Riten und deren organisatorischer Leitung dienen. Alle Religionsgemeinschaften, die sich um offizielle Anerkennung bemühen, müssen somit minutiös alle ihre Organisationen und deren Aktivitäten anmelden und registrieren lassen. Das ermöglicht eine lückenlose Erfassung und Überwachung.
Die Gesetzeslage bietet damit Behörden eine geeignete Handhabe, die eine sehr subjektive Beurteilung zulässt, ob eine Kirche registriert werden kann oder nicht. Beispielsweise wird festgelegt, dass der religiöse Führer oder die Führerin einem “Geist der nationalen Einheit und Versöhnung” folgen muss. Als ein Kriterium für die Registrierung religiöser Aktivitäten wird vorgeschrieben, dass diese nicht den nationalen Traditionen und Sitten widersprechen dürfen.
Dort, wo der Glaube mit politischen Ansprüchen einhergeht, wie beispielsweise dem Kampf um Landrechte, ist die Situation ungleich brenzliger. Viele Angehörige indigener Völker in Vietnam gehören offiziell nicht zugelassenen protestantischen Kirchen oder verbotenen Hauskirchen an. Mehr als 250 Angehörige indigener Völker, die in Vietnams zentralem Hochland leben, werden aufgrund ihres Engagements für Religionsfreiheit in Haft gehalten. Schätzungweise 10 000 Hmong- und Montagnard Christ_innen im zentralen Hochland leben praktisch staatenlos, da die lokalen Behörden sich weigern, ihnen Ausweise auszustellen. Die Anhänger_innen christlicher Glaubensgemeinschaften werden regelmäßig schikaniert, ihre Hauskirchen überfallen, angezündet oder geschlossen, traditionelle Bestattungsriten reguliert oder ganz verboten.
Nicht anerkannte religiöse Gruppen, darunter Cao Dai, Hoa Hao, Ha Mon, Falun Gong, Duong Van Minh, christliche und buddhistische Gruppen, werden ständig überwacht, belästigt und eingeschüchtert. Anhänger unabhängiger religiöser Gruppen sind öffentlicher Kritik, erzwungener Glaubensabkehr, Inhaftierung, Verhör, Folter und Inhaftierung ausgesetzt. Die vietnamesische Regierung bezeichnet viele dieser unabhängigen religiösen Gruppen als „falsch“, „fremd“ oder „ketzerische“ Religionen oder als „Kulte“. Im April 2021 führte der Regierungsausschuss für religiöse Angelegenheiten (GCRA) 85 Gruppen als „fremde Religionen“ auf.[4]
Die vietnamesische Regierung räumte ein, dass sie bis Ende 2021 etwa 140 religiöse Gruppen mit etwa 1 Million Anhänger_innen nicht offiziell anerkannt hatte.[5]
Stand März 2025
Genia Findeisen für die Kogruppe Vietnam/Laos
[1] US Departement of State: 2023 Report on International Religious Freedom: Vietnam, https://www.state.gov/reports/2023-report-on-international-religious-freedom/vietnam/, Zugriff am 12.03.2025
[2] Kirche in Not: Christenverfolgung in Vietnam – Bestimmungen zur Religionsfreiheit, https://www.kirche-in-not.de/informieren/verfolgte-christen/christenverfolgung-vietnam/, Zugriff am 12.03.2025
[3] Legal Normative Dokuments: LBR, Trung ương (vbpl.vn), Zugriff am 12.03.2025
[4] USCIRF: World Report 2022, https://www.uscirf.gov/release-statements/uscirf-releases-report-religious-freedom-condition-vietnam-2021, Zugriff am 12.03.2025
[5] HRW: World Report 2024, https://www.hrw.org/world-report/2024/country-chapters/vietnam#72d33e, Zugriff am 12.03.2025