Die willkürliche Verhaftung und Inhaftierung, insbesondere von politischen Aktivist*innen und Einzelpersonen, die gegen Landbeschlagnahmen oder andere (sozial-ökonomische/politische) Ungerechtigkeiten protestieren, ist ein ernstes Problem. Beamte nehmen auch häufig Menschenrechtsaktivist*innen fest, sobald sie von Auslandsreisen zurückkehren.
Verdächtige Personen können ohne einen Haftbefehl bis zu 72 Stunden festgehalten werden. Das VnStGB 2015 verkürzt die Frist für die Inhaftierung während der Ermittlungen, einschließlich „schwerer“ und „besonders schwerer“ Straftaten. Für letztere kann eine Person bis zu 20 Monate lang festgehalten werden. Das Gesetz erlaubt es der Obersten Volksstaatsanwaltschaft jedoch, eine Person „bis zum Abschluss der Untersuchung“ in Fällen von „besonders schweren Verbrechen“ – dies sind Fälle im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit – festzuhalten. Im Jahr 2018 saßen staatlichen Berichten zufolge 230 Personen länger als 20 Monate in Untersuchungshaft. Erst nach Abschluss der Untersuchung werden Verdächtige offiziell angeklagt.[1]
Das Gesetz schreibt vor, dass Behörden Personen, die in Gewahrsam gehalten, eines Verbrechens beschuldigt oder eines Verbrechens angeklagt werden, innerhalb von drei Tagen nach ihrer Festnahme über ihre gesetzlichen Rechte informieren müssen, einschließlich des Rechts auf einen Anwalt oder eine Anwältin. In vielen Fällen erlauben die Behörden den Anwält*innen nur unmittelbar vor dem Gerichtsverfahren den Zugang zu ihren Mandant*innen oder zu den gegen sie erhobenen Anschuldigungen. Dadurch erhalten die Anwält*innen nicht ausreichend Zeit für die Vorbereitung der Verteidigung ihrer Mandant*innen.
Gerichtsverfahren für politische Gefangene entsprechen oft nicht internationalen Standards, obwohl die vietnamesische Strafprozessordnung faire Gerichtsverfahren garantiert. So wird in vielen Fällen das Recht auf Unschuldsvermutung verletzt, da durch offizielle Verlautbarungen in den staatlich gelenkten Medien bereits eine Vorverurteilung stattfindet. Die Justiz steht durch das Ministerium für öffentliche Sicherheit effektiv unter der Kontrolle der KPV. Die meisten, wenn nicht sogar alle Richter*innen sind Mitglieder der KPV und werden regelmäßig überprüft. Verteidiger*innen beklagen, dass in vielen Fällen Richter*innen bereits vor dem Prozess eine Schuldentscheidung getroffen hätten. Gerichtsverfahren sind grundsätzlich öffentlich, in sensiblen Fällen wird die Öffentlichkeit aber ausgeschlossen oder limitiert.
Die Anwaltschaft in Vietnam ist nicht unabhängig. Einige Angeklagte würden es daher vorziehen, sich selbst zu verteidigen oder sich durch ausländische Anwält*innen vertreten zu lassen. In der Regel wird den Angeklagten oftmals erst kurz vor Prozessbeginn ein Anwalt oder eine Anwältin zugewiesen. Richter*innen, die politisch sensible Prozesse leiten, erlaubten Verteidiger*innen und Angeklagten oft nicht, ihre gesetzlichen Rechte auszuüben. So erlaubt das Strafgesetzbuch den Angeklagten, neben ihrem Verteidiger/ihrer Verteidigerin zu sitzen. Dies ist allerdings keine Standardpraxis. In politischen Prozessen dürften weder Angeklagte noch ihre Anwält*innen Beweise, auf die sich die Staatsanwaltschaft stützt, prüfen oder überprüfen. Auch ist es Verteidiger*innen in Prozessen mit politischem Hintergrund meist nicht gestattet, Zeug*innen zu benennen oder zu befragen.
[1] United State Departement of States, Vietnam Report 2019, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/VIETNAM-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff am 24.04.2020