Forderung nach Untersuchung des Mordes an einem laotischen Flüchtling und Beendigung der grenzüberschreitenden Unterdrückung von Menschenrechtsverteidigern
Als Reaktion auf die Nachricht vom 17. Mai 2023, dass Bounsuan Kitiyano, ein 56-jähriger laotischer Menschenrechtsverteidiger und anerkannter Flüchtling des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), in einer Grenzstadt im Nordosten Thailands erschossen wurde, fordern wir, die zehn unterzeichnenden Organisationen, die thailändische Regierung nachdrücklich auf, diesen Vorfall unabhängig, wirksam und unverzüglich zu untersuchen und der Familie und den Angehörigen des Opfers Wiedergutmachung zu gewähren. Außerdem fordern wir die laotische und thailändische Regierung auf, gemeinsam mit den diplomatischen Vertretungen in Laos und Thailand und den UN-Gremien gegen die Menschenrechtsverletzungen vorzugehen, denen laotische Menschenrechtsverteidiger*innen ausgesetzt sind, die in Thailand Asyl beantragt haben.
DIE ERMORDUNG VON BOUNSUAN KITIYANO
Am 17. Mai 2023 fanden die thailändischen Behörden Bounsuans Leiche im Bezirk Pho Sai der Provinz Ubon Ratchathani im Nordosten Thailands an der Grenze zu Laos. Bounsuan, ein Mitglied von “Free Lao”, einem Netzwerk laotischer Wanderarbeiter*innen und Menschenrechtsaktivist*innen mit Sitz in Thailand, beteiligte sich an Aktivitäten wie z.B. friedlichen Protesten vor der laotischen Botschaft in Bangkok und Workshops zu Themen wie Menschenrechte, Umweltrechte, Korruptionsbekämpfung und Demokratie. Medienberichten zufolge wurde dreimal auf ihn geschossen, während er auf einem Motorrad unterwegs war.[1]
Die unterzeichnenden Organisationen haben zwar keine Informationen darüber, wer für diese Tat verantwortlich ist, aber wir wissen, dass der Menschenrechtsverteidiger vor Verfolgung aus Laos geflohen ist und seit vielen Jahren in Thailand lebte. Medienberichten zufolge, war Bounsuan gerade dabei, eine Umsiedlung nach Australien zu beantragen.[2]
Andere Personen, die mit dem Netzwerk Free Lao in Verbindung stehen, wurden willkürlich inhaftiert und sollen entweder in Laos oder in Thailand verschwunden sein.
UNTERDRÜCKUNG IM IN- UND AUSLAND
Die unterzeichnenden Organisationen stellen fest, dass immer wieder Menschenrechtsverteidiger*innen, die dem Netzwerk Free Lao angehören, ins Visier genommen werden. Die Erschießung von Bounsuan erfolgte nur einen Monat nach der Festnahme und Inhaftierung von Savang Phaleuth, einem weiteren Mitglied von Free Lao, der in Bangkok lebt. Berichten zufolge besuchte Savang am 20. April 2023 das Haus seiner Familie im Dorf Done Sart im Bezirk Song Khon der Provinz Savannaket, Laos, wo er von Polizisten einer nicht identifizierten Einheit festgenommen wurde.[3] Derzeit wird er weiterhin ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Nach den von den Unterzeichner*innen eingeholten Informationen, hat die Polizei weder seine Angehörigen über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informiert noch Familienbesuche gestattet.
Am 26. August 2019 “verschwand” der bekannte Menschenrechtsverteidiger Od Sayavong aus seinem Haus in Bangkok, nachdem er und seine Mitstreiter*innen von Free Lao, darunter Phetphouthon Philachane, sich mit dem damaligen UN-Sonderberichterstatter für Extreme
Armut und Menschenrechte trafen.[4] Od spielte auch eine aktive Rolle bei der Leitung einer Demonstration am 16. Juli 2019 in Bangkok, auf der die Freilassung anderer in Laos inhaftierter Mitglieder von Free Lao und der Schutz von Umwelt- und Landrechten im Land gefordert wurden.[5] In diesem Fall haben es die thailändischen Behörden versäumt, eine rasche, unparteiische und wirksame Untersuchung dieses mutmaßlichen Verschwindenlassens durchzuführen, obwohl die UN und zivilgesellschaftliche Organisationen dies immer wieder gefordert hatten.[6]
Drei Monate später verschwand auch Phetphouthon, ebenfalls Free Lao Mitglied und Mitbewohner von Sayavong, nachdem er Bangkok verlassen hatte, um seine Familie in Vientiane zu besuchen.[7] Sein Schicksal und sein Verbleib sind bis heute unbekannt.
Am 5. März 2016, wurden drei Menschenrechtsverteidiger*innen derselben Gruppe – Somphone Phimmasone, Soukane Chaithad und Lodkham Thammavong – von den laotischen Behörden verhaftet und in Isolationshaft gehalten, weil sie online Kritik an der laotischen Regierung geübt und an einem friedlichen Protest vor der laotischen Botschaft in Bangkok teilgenommen hatten. Am 22. März 2017 befand das Volksgericht von Vientiane sie für schuldig, gegen Artikel 56 (Landesverrat), Artikel 65 (Propaganda gegen den Staat) und Artikel 72 (Versammlungen mit dem Ziel, soziale Unruhe zu stiften) des laotischen Strafgesetzbuchsverstoßen zu haben. Sie wurden zu 20, 16 bzw. 12 Jahren Gefängnis verurteilt.
Diese wiederholten Vorfälle von Verhaftung, Inhaftierung, Verurteilung und in einigen Fällen Verschwindenlassen von Mitgliedern von Free Lao deuten darauf hin, dass es sich offenbar nicht nur um gezielte Angriffe auf laotischem Gebiet handelt. Vielmehr scheinen sie Teil einer fortwährenden, länderübergreifenden Repression gegen Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen zu sein, die vor Verfolgung aus Laos nach Thailand fliehen, um damit die Ausübung von Menschenrechten, einschließlich der Rechte auf friedliche Versammlung und des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu unterbinden.
In diesem Zusammenhang haben acht unabhängige Expert*innen des UN Menschenrechtsrats am 11. Dezember 2020 ein Schreiben an die laotische und die thailändische Regierung geschickt, in dem sie ihre Besorgnis über ein “Muster des Verschwindenlassens” äußern bei dem “Länder in der Region koordinieren, unterstützen oder dulden, dass politische Aktivist*innen exterritorial entführt werden und verschwinden.”[8] In dem Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass die Außenministerien von Laos und Thailand im Jahr 2018 eine gemeinsame Erklärung zur Stärkung ihrer Zusammenarbeit veröffentlicht haben, um “an der Politik festzuhalten, keiner Person oder Gruppe von Personen auf ihrem Territorium zu erlauben, Unruhen oder regierungsfeindliche Aktivitäten in einem anderen Land zu planen.”
Laut den von den unterzeichnenden Organisationen gesammelten Zeugenaussagen, hat die allgegenwärtige Straffreiheit für die genannten Fälle eine abschreckende Wirkung bei laotischen Menschenrechtsverteidiger*innen. Unter diesem repressiven Klima leben Menschenrechtsverteidiger*innen, die aus ihrem Land geflohen sind, weiterhin in der Angst, wegen der Ausübung ihrer Menschenrechte verfolgt zu werden.
STAATLICHE VERPFLICHTUNGEN NACH DEN INTERNATIONALEN MENSCHENRECHTSNORMEN
Thailand und Laos sind Vertragsstaaten des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), wonach sie das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person, das Recht auf Freiheit von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung sowie andere Rechte respektieren, achten und sicherstellen müssen. Das gewaltsame Verschwindenlassen stellt einen Verstoß gegen mehrere Bestimmungen des ICCPR dar. Die Vertragsstaaten haben die Pflicht, unverzüglich, wirksam und gründlich mit Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Transparenz zu ermitteln; das beinhaltet auch das Verschwindenlassen von Personen. Dies muss in Übereinstimmung mit einschlägigen internationalen Standards, einschließlich des Minnesota-Protokolls über die Untersuchung potenziell rechtswidriger Todesfälle geschehen.[9]
Die Staaten müssen auch Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln und zur Wiedergutmachung gewähren, um Menschenrechtsverletzungen unter ihrer Rechtsprechung abzuhelfen. Der Schutz der vorgenannten Rechte gilt auch für Menschenrechtsverteidiger*innen, die aufgrund ihrer legitimen Menschenrechtsarbeit einem erhöhten Risiko gezielter Gewalt ausgesetzt sind.
Während des dritten Zyklus der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung Thailands (UPR) im Jahr 2021 hat die thailändische Regierung mindestens sechs Empfehlungen zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen “unterstützt”, darunter “den Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen zu gewährleisten, unter anderem durch eine rasche und gründliche Untersuchung von Angriffen”; “die Ergreifung weiterer Schritte, um ein sicheres
und förderliches Umfeld für Menschenrechtsverteidiger*innen zu gewährleisten, alle Formen von Belästigung, Gewalt und Einschüchterung gegen sie zu unterbinden und eine rasche, transparente und unabhängige Untersuchung aller gemeldeten Fälle zu gewährleisten”, und “die Schaffung eines sicheren und förderlichen Umfelds für die Ausübung des Rechts auf friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung sowie Angriffe und
Einschüchterung von Menschenrechtsverteidiger*innen zu verhindern. “[10]
Auch die Regierung von Laos erhielt bei der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung im Jahr 2020 ähnliche Empfehlungen, unter anderem die “Meinungsfreiheit zu verbessern, die Aufhebung der Beschränkungen für unabhängige Medien und die Schaffung eines sicheren Umfelds für die Arbeit von Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen”; “uneingeschränkte Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, und die vollständige Untersuchung aller Vorwürfe über willkürliche Verhaftungen, gewaltsames Verschwindenlassen und strafrechtliche Verurteilungen aufgrund von Äußerungen der politischen Opposition oder Kritik an der Staatspolitik“; sowie „unabhängige Untersuchungen über das Verschwinden und den Tod von Demokratie- und Menschenrechtsaktivist*innen“. Bedauerlicherweise weigerte sich die laotische Regierung, die meisten dieser Empfehlungen der Überprüfung anzunehmen. [11]
Die zunehmende Zahl grenzüberschreitender Repressionen, einschließlich der jüngsten Ermordung von Bounsuan, zeigen, dass beide Regierungen ihre Menschenrechtsverpflichtungen, sicherzustellen, dass Menschenrechtsverteidiger*innen ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten in beiden Ländern sicher ausüben können, nicht wirksam umgesetzt haben.
FORDERUNGEN AN DIE REGIERUNGEN VON THAILAND UND LAOS SOWIE AN DIE INTERNATIONALE GEMEINSCHAFT
In Anbetracht der oben dargestellten Situation fordern die unterzeichnenden Organisationen dringend
DIE REGIERUNGEN VON LAOS UND THAILAND AUF
- Leiten Sie sofort eine rasche, gründliche, wirksame, unparteiische und unabhängige Untersuchung der Tötung von Bounsuan sowie anderer möglicher Menschenrechtsverletzungen und -missbräuche, wie in dieser Erklärung dargelegt, ein; in Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen und -standards, einschließlich des Minnesota-Protokolls über die Untersuchung potenziell ungesetzlichen Todes;
- Stellen Sie sicher, dass die Ermittlungen dazu führen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, indem die verantwortliche(n) Person(en) identifiziert, strafrechtlich verfolgt und bestraft werden;
- Bieten Sie Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln und ermöglichen Sie Wiedergutmachung für die Familien und Angehörigen dieser Opfer von Verbrechen ;
- Verpflichten Sie sich öffentlich dazu, weitere Verfolgung, Einschüchterung und Belästigung zu verhindern, ein sicheres, respektvolles und förderliches Umfeld für alle Menschenrechtsverteidiger*innen zu schaffen und die Kriminalisierung der Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einzustellen;
- Beenden Sie dringend das oben genannte offizielle Abkommen zwischen beiden Regierungen und alle anderen Maßnahmen, die die legitime Menschenrechtsarbeit länderübergreifend unterdrücken.
FORDERUNGEN AN DIE DIPLOMATISCHEN VERTRETUNGEN IN LAOS UND THAILAND UND DIE GEBERLÄNDER
- Fordern Sie eine sofortige und wirksame Rechenschaftspflicht und ein Ende der Menschenrechtsverletzungen, die seit langem in beiden Ländern von einer Kultur der Straflosigkeit überschattet werden;
- Regierungen, die an zwischenstaatlichen Dialogen mit laotischen und thailändischen Behörden beteiligt sind, sollten die Frage der angeblichen länderübergreifenden Unterdrückung von Menschenrechtsverteidiger*innen in beiden Ländern ansprechen und dafür sorgen, dass die Ergebnisse dieser Dialoge öffentlich gemacht machen;
FORDERUNGEN AN UN-GREMIEN
- Gewährleisten Sie den Schutz von Flüchtlingen und Asylbewerber*innen, die in Angst vor grenzüberschreitender Unterdrückung leben und die sofortige Bearbeitung ihrer Anträge auf Neuansiedlung in einem Drittland.
LISTE DER UNTERZEICHNENDEN ORGANISATIONEN
1. Amnesty International
2. Human Rights Watch
3. International Commission of Jurists
4. International Federation for Human Rights
5. Manushya Foundation
6. Focus on the Global South
7. CIVICUS: World Alliance for Citizen Participation
8. Front Line Defenders
9. Asia- Europe Peoples Forum (AEPF) International Organising Committee
10. Fresh Eyes
[1] Thai Rath,สลดหนุ่มใหญ่ นักเคลื่อนไหวชาวลาว ถูกยิงตายที่อุบลฯ คาดตามฆ่าล้างแค้น, 19 May 2023, https://www.thairath.co.th/news/crime/2695135
[2] Khaosod English, Thai Police: A Lao activist’s relatives may murder him, 21 May 2023, khaosodenglish.com/news/2023/05/21/thai-police-a-lao-activists-relatives-may-murder-him/
[3]Radio Free Asia, “Thailand-based rights activist arrested in Laos after returning to home village” 9 May 2023, rfa.org/english/news/laos/activist-returns-arrest-05092023164548.html
[4] UN Office of the High Commissioner for Human Rights, “Thailand/Lao PDR: UN experts concerned by disappearance of Lao human rights defender” 1 October 2019, ohchr.org/en/press-releases/2019/10/thailandlao-pdr-un-experts-concerned-disappearance-lao-human-rights-defender
[5] UN Office of the High Commissioner for Human Rights, Letter to the Governments of Load and Thailand (UA LAO 2/2019), 25 September, 2019, spcommreports.ohchr.org/TMResultsBase/DownLoadPublicCommunicationFile?gId=24867
[6] Some examples of the calls could be found at amnesty.or.th/en/latest/news/7581/fidh.org/en/region/asia/thailand/investigate-disappearance-of-lao-activist-seeking-asylum and hrw.org/news/2019/09/07/thailand-lao-refugee-feared-disappeared
[7] Radio Free Asia, “Lao Migrant Goes Missing, Friends Suspect Government Abduction” 9 December 2019, rfa.org/english/news/laos/phetphouthon-philachane-12092019161409.html
[8] UN Office of the High Commissioner for Human Rights, Letter to the Governments of Load and Thailand ( AL LAO 4/2020), 11 December 2020, spcommreports.ohchr.org/TMResultsBase/DownLoadPublicCommunicationFile?gId=25648
[9] UN Office of the High Commissioner for Human Rights, Minnesota Protocol on the Investigation of Potentially Unlawful Death, 2017, ohchr.org/sites/default/files/Documents/Publications/MinnesotaProtocol.pdf
[10] UN Human Rights Council, Report of the Working Group on the Universal Periodic Review: Thailand, Recommendations received from Norway, Czechia, and Italy respectively, A/HRC/49/17/Add.1, Para 19 and 51.ohchr.org/sites/default/files/2022-03/A_HRC_49_17_Add.1_AV_Thailand_E.docx
[11] UN Human Rights Council, Report of the Working Group on the Universal Periodic Review: Thailand, Recommendations received from Italy, Czechia, and the United States of America, A/HRC/44/6/Add.1, Para.6.undocs.org/A/HRC/44/6/Add.1